Mutter Natur klopfte an meine Terrassentür und ich nahm die Aufforderung an.
Ich nahm nicht nur an, ich verliebte mich spontan …
An der höchsten Stelle meines Hauses hatte ein Vogelpaar sein Nest gebaut. Seit Wochen piepte es heftig aus dem Dachspitz. Das hörte nicht nur ich. Der Kater hörte das auch! Er schritt mehrmals am Tag mit wichtigem Katergesicht die darunter liegende Terrasse ab.
Leider ist Mutter Natur nicht zimperlich.
Sie ließ es zu, dass der erste Minivogel genau dann zum Jungfernflug ansetzte als der Kater gerade seine Terrassenrunde machte. Der Vogel flog ihm direkt ins Maul. Aus vorbei! Katerfrühstück.
Piepmatz Nummer zwei hatte die Lage von oben klüger sondiert.
Er landete auf dem Lappen, der über einem Eimer zum Trocknen aufgespannt war. Soft landing im Sprungtuch sozusagen. Er war obendrein so clever, umgehend auf den nächstliegenden Stuhl zu flatterhopsen um sich aus sicherer Höhe auf den Weiterflug vorzubereiten. Wenige Minuten später folgte er den Rufen seiner Mutter und rumpelte davon.
Im Nest hoch oben im Dachspitz piepste es weiter.
Dem Kater schien bei jedem Ton das Wasser im Maul zusammenzulaufen. Und da ich nicht wusste, wann der nächste Vogel auf unsere Terrasse plumpsen würde, wurde der Garten kurzerhand zur Hochsicherheitzone erklärt und dem Kater Hausarrest verordnet.
Zuerst fand er das gut, weil er sich auf dem Balkon näher an den Beutestücken im Dachfirst wähnte … bis er merkte, dass nach aussen alles verriegelt war. Schluss mit Geflügelsnacks!
Wer die Töne kennt, die ein schlecht gelaunter Kater von sich gibt, der hinter einer verschlossenen Tür sitzt, weiß wie ich gelitten habe.
Mutter Natur sollte mir einen Orden verleihen, weil ich die Nervensägerei tagelang ausgehalten habe.
Vogel Nummer drei ließ sich enorm viel Zeit mit dem Sprung nach unten.
Offenbar aber der klügste von allen. Erst legte er eine Landung hin, die sehr nach Genickbruch klang. Er schüttelte sich und suchte sich wie sein Bruder vorher, einen Gartenstuhl. Nur, dass dieser hier einen Stuhl mit Kissen nahm und dort verharrte. Ziemlich lang, wie man an seinen Markierungen auf dem Kissen sehen kann. Dann trat die Vogelmutter in Erscheinung. Fütterte, lockte und nach einem halben Tag, erhob er sich in die Lüfte.
In unserem Garten setzen jedes Jahr dutzende Vögel zu ihrem ersten Flug an, aber noch nie war ich so nah dran.
Ich saß am Gartentisch und schrieb. Im Rücken das rundherum verschlossene Haus, als Vogel Nummer vier mit einem „rumms!“ direkt neben mir auf der Terrasse landete. Er riss sofort den Schnabel auf und hüpfte auf mich zu.
Eine Etage höher auf dem Balkon, schaute der Kater durch die Ritzen der Balkonbeplankung und war beleidigt.
Vogel Vier und ich hatten sofort einen Draht zueinander. Er war der gemütlichste von allen und offenbar hatte er grenzenloses Vertrauen. Er schien mit mir zu flirten und hatte überhaupt nicht vor, sich zu verabschieden. Er saß mal auf dem Tisch vor mir, mal auf dem Stuhl neben mir. Am besten gefiel es ihm aber in meiner Hand.
Kaum hatte er es sich dort gemütlich gemacht, fielen ihm die Augen zu und er machte ein Nickerchen.
Nach einer Weile war ich besorgt, mein neuer Freund könnte verhungern und verdursten.
Ich verließ die Terrasse, um der Vogelmutter Platz zu machen, damit sie zum Füttern kommen könnte. Was machte der Piepmatz? Er rumpelte mir hinterher und piepste mich durch die Scheibe der Terrassentür an.
Richtig weit weg zu gehen traute ich mich nicht, denn auch wenn der Hauskater unter Arrest stand, Nachbarskatzen gibt es bei uns reichlich.
Mein neuer Freund schien nur zufrieden zu sein, wenn er auf meiner Hand hocken durfte.
Und -ihr werdet es kaum glauben- auch die Vogelmutter hielt mich offenbar für vertrauenswürdig.
Nach einer Weile kam sie auf Armeslänge heran, um ihr flugfaules Kind zu füttern.
Hab‘ leider keine Fotos davon, denn in diesen Momenten wollte ich lieber still sitzen um Mutter und Kind nicht durch ruckartige Bewegungen zu erschrecken.
Zwei Tage lang war Vogel Vier mein Gast.
In den Nächten war ich in Sorge um ihn. Aber er schien draußen ein sicheres Plätzchen neben unserem Feuerholzkorb gefunden zu haben und hüpfte morgens fröhlich auf mich zu.
Am Ende waren die Flugstunden erfolgreich!
Ich hab‘ den Piepser immer und immer wieder auf den Stuhl gesetzt und ihn sanft vom Rand geschubst. Irgendwann hatte er begriffen, dass die Landung weicher gelingt wenn er die Flügel ausbreitet.
Und am Ende von Tag zwei hatte er offenbar begriffen wie die Fliegerei funktioniert.
Ich war für ein paar Minuten ins Haus gegangen weil mein Telefon klingelte und als ich zurückkam war er weg.
Der einzige, den dieser Umstand mit Freude erfüllte, war der Kater, denn der durfte nun wieder raus.
Ich gestehe, ich hatte ein paar Stunden Trennungsschmerz.
Und was habe ich gelernt in diesen Tagen mit Vogel Vier und seinen Geschwistern?
Auszeiten sind wichtig und richtig! Nur in Auszeiten erlauben wir uns inne zu halten für die kleinen Dinge. Ohne die Pause im August hätte ich mir nicht die Zeit für den Job als Bodyguard genommen.
Vogel Vier und seine gesamte Geschwisterschar wären als Katerfrühstück geendet und mir wäre eine zauberhafte Begegnung mit Mutter Natur entgangen.
Habt weiter eine feine Woche, ihr Lieben :-))))))
Bauke
4. September 2019Meine Güte was für eine Geschichte,da wird man ja beim lesen schon ganz nervös…
Aber ich finde nicht,dass es ein „inne halten für die kleinen Dinge“
war,das war eine ganz grosse und grossartige Sache.
Bravo Martina
LG in den Mittwoch von Bauke.
Martina Goernemann
4. September 2019War ja „nur“ ein kleines Vögelchen! Aber ich möchte die Zeit mit ihm und seinen Geschwistern nicht missen. Happy Mittwoch für dich! :-)))))
Bauke
4. September 2019P.S.
Hat das Katerchen Dir verziehen?
Martina Goernemann
4. September 2019Hahahaha. Nicht sofort! Aber inzwischen ist die Liebe wieder ausgebrochen! Happy Mittwoch für dich!
Lilli
4. September 2019Was eine schöne Geschichte! Danke für deinen Einsatz! 🙂
Martina Goernemann
4. September 2019Sehr, sehr gerne. Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite! Happy Mittwoch!
Syelle
4. September 2019Danke für diese bezaubernde Geschichte, liebe Martina! Ich bin ganz gerührt! Ja, die Natur beglückt uns mit so vielen kleinen, feinen Erlebnissen, wir müssen uns nur die Zeit nehmen, sie auch zu sehen und zu genießen.
Heute morgen bin ich mit dem Bus gefahren und teilte dieses Vergnügen mit diversen jungen Leuten, die zur Uni fuhren. Und alle – ALLE – hielten sich das Smartphone vor die Nase und hatten keinen Blick für ihre Umgebung. Nicht für die anderen Mitfahrenden, auch nicht für die alte Dame, die im Gedränge nach einem Platz Ausschau hielt, und schon gar nicht für die Welt, die draußen vorm Fenster an ihnen vorbeizog. Werden wir die letzte Generation sein, die noch ein Auge für die Natur hat? Die sich Vögelchen live und in Farbe ansieht und nicht nur per You-Tube-Video?
Hoffnungsvolle Grüße an Dich und alle Raumseelen!
Syelle
Martina Goernemann
4. September 2019Nein, Syelle. Nicht so traurig in den Tag gucken. Ich kenne so viele wunderbare junge Leute, die offen sind für Natur und Co.! Handynutzung in Bus und Bahn muss nicht heißen, dass das den ganzen Tag so weitergeht. Ich setze sehr auf die jungen Leute. Hab einen guuuuuten Tag! :-)))))
Susanne mit dem USA-Tick
4. September 2019Das ist ja ein ganz neues Genre, Martina: Natur- und Tiergeschichten, und dann noch bebildert. Sehr schön, wie Du das beschreibst und dann auch noch so wunderbar fotografierst!
Ich hoffe, Du findest auch im Alltag ab und zu die Zeit, in Deinen Garten zu schauen, wenn dort soviel Interessantes und Rührendes zu beobachten ist.
Sonnige Grüße an alle
Susanne
Martina Goernemann
4. September 2019Ja, ich bemühe mich, Susanne. Im Moment reift hier im Hause der Gedanke, wieder einen Hund anzuschaffen. Ich zögere noch ein bisschen, weiß aber, dass ich längst am Haken hänge :-))))) Wenn wir das tatsächlich tun, dann ist mit weiteren Tiergeschichten zu rechnen. :-))))) Häppy Mittwoch!
Bauke
4. September 2019Aber jedes kleine Leben ist was ganz grossartiges!
Ich kann Syelle durchaus verstehen.Ich glaube leider auch der grösste Teil der Jungend ist nicht so wie die Leute die Du kennst Martina.
Die meisten sind Ingnoranten genau wie ihr Eltern.
Wäre die Welt sonst in einem so schlimmen Zustand?
Ich kann leider Deine
Zuversicht nicht so wirklich teilen.
Ich hoffe doch,wenn ein Hund,dann ein Fundtier!
LG
Martina Goernemann
4. September 2019Ach Bauke … ich lasse mir meine Zuversicht nicht nehmen :-)))) Die Jugend ist auch objektiv besser als ihr Ruf. Ich pflanze weiter Apfelbäumchen und was den Hund betrifft, da wird es davon abhängen ob wir einen Welpen finden, der zu uns passt. Es soll eine große Rasse sein. Wir haben immer große Hunde gehabt. Happy Mittwoch! :-)))))
Doris
4. September 2019Eine schöne Geschichte, die du da erlebt hast, liebe Martina. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell unser Mutterherz für kleine Tierkinder Verantwortung übernimmt. Im letzten Sommer hat in der Blumenampel vor meinem Küchenfenster ein Grauschnäpper- Pärchen sein Nest eingerichtet. Es war total niedlich zu sehen, wie die Vogelküken das leichte Schaukeln der Ampel mit ihren Köpfchen versucht haben auszugleichen. Als dann bei größter Sommerhitze die Sonne ungehindert in das Nest knallte, habe ich ein Küchentuch an die Dachrinne gehängt, um dem Nest Schatten zu geben. Die Vogeleltern waren offenbar dankbar dafür und haben ihre Jungen ungerührt weiter gefüttert. Eines Tages kam dann ein Gewittersturm. Ich war zum Einkaufen in der Stadt. In großer Sorge um die Vögelchen bin ich sofort nachhause gefahren. Zum Glück war nichts passiert. Die Küken in der Blumenampel sahen ein wenig gerupft aus aber sie waren vollzählig in Ihrem Nest. Zwei Wochen später sind Sie nach und nach alle ausgeflogen und ich habe Ihnen wehmütig nachgeschaut. „Meine“ Vogelkinder waren mir sehr ans Herz gewachsen….
Ich freue mich sehr über jeden Menschen, der ähnlich empfindet und den Bezug zu Natur und Tierwelt nicht verloren hat.
Liebe Grüße, Doris
Martina Goernemann
4. September 2019Ich möchte auch keinen Moment mit „meiner Brut“ missen. Ich verstehe dich genau! Es ist faszinierend, wie klug die kleinen Piepser sind und wie schnell sie
Vertrauen fassen, wenn sie sich sicher fühlen. Hab einen guuuten Tag, liebe Doris.
Bauke
4. September 2019Liebe Martina,
es gibt auch genug Fundwelpen grosser Rassen.
Ich hoffe sehr,da Dir ja Tiere und Umwelt so sehr am Herzen liegen,dass Du keine Hundezucht unterstützt.So gut sie auch geführt sein mag,
Es gibt so viel arme Kreaturen da ist bestimmt auch für Dich das richtige dabei.
LG Bauke
Bauke
4. September 2019Wenn man mal weiter denkt,ist es doch eine ungeheuerliche
Anmaßung des Menschen einfach so Lebewesen zu
züchten.Das ist ja wie „Lieber Gott“ spielen.
Und dann noch zum Teil als Wegwerfartikel,
ob nun als Lebensmittel,Sport und Freizeitpartner etc..
Auf die erbärmlichen „Daseins Umständen“(von Leben kann da gar nicht gesprochen werden!)
will ich hier gar nicht eingehen.Sorry,ich missioniere schon wieder,tut mir Leid,aber so ist das eben,wenn eine Sache einen sehr beschäfftigt/am Herzen liegt.
Guten Rest-Mittwoch noch allen.
Martina Goernemann
4. September 2019Glaub mir, mir liegt das Tierwohl auch sehr am Herzen! Aber gegen einen Hund, der aus einer Zucht mit Herz und Familienanschluss kommt, ist auch nichts zu sagen! :-)))))
Ursula aus dem Süden 1962
4. September 2019Ich hoffe mal dein Kater hat daraus gelernt und lässt jetzt die Vögelchen in Ruhr *lach…
Hast Du gut gemacht Martina Vogelmama 🙂
LG
Ursula
Martina Goernemann
4. September 2019Ich würd es mir wünschen, Ursula … aber ich fürchte im kommenden Jahr ist wieder Hausarrest für das Katertier angesagt. Guts Nächtli! :-))))))
Bauke
4. September 2019Das mag wohl sein,aber gerade die immer neuen Welpen vom Züchter verhindern doch,dass Hunde aus dem Tierheim/Shelter ein neues Zuhause finden.
Es gibt doch schon viel zu viele Hunde/Katzen.Wie sonst lässt sich erklären,dass die Welpen/Kitten wie Müll entsorgt werden.
Ich möchte niemand etwas vorschreiben,aber ich habe eine unumstößliche Meinung zu diesem Thema,es gibt einfach schon zuviel Leid.
Daher möchte ich es hiermit von meiner Seite abschliessen.Nichts für ungut,liebe Martina.
Einen ruhigen Abend und eine gute Nacht Dir und allen Raumseelen von Bauke.
Martina Goernemann
4. September 2019Dir auch eine gute Nacht, Bauke! :-))))
Ursula Summereder
6. September 2019Was für eine zauberhafte Geschichte!
Ursula aus I
Martina Goernemann
6. September 2019Danke, Ursula! Schöne Restwoche! :-))))
Claudia aus Köln
9. September 2019Es hat mir sehr viel Freude gemacht Deine Vogelstory zu lesen! Und herrlich, wie Dein Kater guckt! Du hast den Vogelrettungs-Orden am Band verdient! Jawoll!
Oh. Ich kenne das Katzengejammer, wenn der Ausgang verwehrt wird! Das ist nur was für starke Nerven.
Sehr gut gemacht, Martina!
Martina Goernemann
9. September 2019Hahahaha! Es gibt wirklich kaum nervenschädigendere Geräusche, gell? Zahnarztbohrer vielleicht noch oder Fingernagel auf der Schultafel. :-)))))