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Schön

Die Tasse von Herrn N. Levy

Ich bin in den letzten Wochen oft gefragt worden, welches meine liebste Geschichte im neuen Buch ist. Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, denn würde ich nicht jede Geschichte lieben, würde ich sie nicht drucken lassen. Aber es gibt tatsächlich eine Geschichte, die so nah an meinem Herzen ist wie sonst kaum eine. Ich habe sie im letzten Jahr geschrieben. Seit dem hat sich unser aller Leben verändert. Es ist wichtiger denn je, dass nicht in Vergessenheit gerät, wie schnell wir unsere Menschlichkeit verlieren können. Und deshalb ist die Geschichte über die Tasse aus dem „Haushaltungs- und Spielwaren-Bazar von N. Levy“ meine liebste und wichtigste Geschichte. Lest selbst:

„Denkmäler werden aus vielerlei Gründen errichtet. Um Ehre zu erweisen, Vergessen zu vermeiden oder um langweilige Plätze mit Statuen aufzulockern. Denkmäler sind meist deutlich größer als die Betrachter und aus diesem Grund in aller Regel respekteinflößend.
Bei uns Zuhause gibt es auch Denkmäler, aber die sind klein! Sie stehen in keiner Blumeninsel im Garten, sondern mitten im Leben. In unserem Leben. Mein liebstes Denkmal ist eine Tasse!
„Fröhliche Weihnachten wünscht N. Levy Haushaltungs- und Spielwaren-Bazar“ steht mit goldener Schnörkel-schrift auf dem weißen Porzellan. Und obwohl Herr Levy mit seiner Familie nicht Weihnachten sondern Chanukka gefeiert haben wird, hatte er doch hübsche Tassen für seine Kunden vorbereitet. „Darf ich Ihnen einen kleinen Gruß von uns zum Fest mitgeben?“ fragte er seine Kunden vielleicht, wenn er ein Feuerwehrauto oder ein Küchengerät abgerechnet hatte. Praktische Geschenke erfreuten sich großer Beliebtheit. Der Gemüsehobel mit Kurbel war neu im Sortiment und die halbe Stadt wollte ihn haben. Dem Gemüse schien es nämlich ausgesprochen egal zu sein, ob es koscher oder nicht nicht koscher gehobelt wurde. Herr Levy lächelte, wünschte noch einen schönen Tag und Frau Levy packte alles in Seidenpapier ein. Wieviel fröhliche Weihnachten mag es für Familie Levy hier in Deutschland noch gegeben haben? Welchen Weg hat die Tasse zurückgelegt bis sie auf einem Flohmarkt in München in meiner Hand landete? 80 Jahre hat sie makellos überstanden. DSC_9378_2_smallKein Sprung, nicht die allerkleinste Macke. Aber sie muss in Gebrauch gewesen sein. Der goldene Rand ist abgenutzt, genau dort wo die Lippen eines Rechtshänders üblicherweise auf eine Tasse treffen. Hat die Tasse das Elend in den 30ger und 40ger Jahren eher zufällig überstanden? Oder gab es jemanden, der sie behütet und vor Schaden bewahrt hat, im Gedenken an den freundlichen Herrn Levy und seine Familie? Unmöglich zu erfahren was aus den Levys geworden ist. Aber ich denke oft an sie. Sobald die Rosen in meinem Garten blühen, bekommen die Levys die schönsten und wenn ich einen Strauß geschenkt bekomme, zweige ich stets ein paar Blüten für sie ab. N. Levys Tasse gehört zu den Dingen, die ich stets festhalten werde, denn sie hat mich bestimmt deshalb gefunden, damit Familie Levy nicht in der Vergessenheit verschwindet.“

20 Comments
  • Nessie
    21. Februar 2016

    Das ist eine wunderschöne Geschichte. Es gab 1894 in einem Dortmunder Telefonbuch einen Eintrag über einen Nathan Levy, Westernhellweg 49. er war aber Bürogehilfe.. Vielleicht Hat er aber einen Sohn, der sich dann selbstständig gemacht hat. Wäre ja interessant, das herauszufinden…
    Viele schottische Grüße, Nessie

    • Martina Goernemann
      21. Februar 2016

      Liebe Nessie, ich freue mich, dass du die Geschichte gelesen hast. Es gab unglaublich viele Menschen mit dem Familiennamen Levy. Ich fürchte, wir werden meine Familie Levy kaum finden können. Für mich ist es das wichtigste, dass die Levys von meiner Tasse, einen Platz in meinem Herzen haben … und in deinen ja jetzt auch! Herzlich, Martina

      • Sabine Z.
        21. Februar 2016

        In Amerika gibts eine Firma namens N. Levy toys, könnte fast passen.
        Ich hatte mal ein altes Schulbuch aus den zwanziger Jahren, in dem eine Adresse mit Namen stand aus Düsseldorf, wo ich lebe. Der mittlerweile ältere Herr wohnte dort noch und ich habe ihn angerufen und ihn gefragt, ob ich ihm sein Schulbuch bringen dürfte. Er hat sich wahnsinnig gefreut.
        Liebe Grüße
        Sabine

        • Martina Goernemann
          21. Februar 2016

          Liebe Sabine, du scheinst die Dinge genau so anzugehen wie ich. Ich habe auch mal eine ganze Kiste uralter Liebesbriefe nach Berlin geschickt und einer Dame geholfen ein altes Rätsel zu lösen. N. Levy in USA könnte passen, da hast du recht, aber ich denke, es ist gar nicht so wichtig, die Tasse einer Familie zuzuordnen. Es ist viel wichtiger, dass im Andenken an die Levys immer frische Blumen darin stehen. Herzlich, Martina

      • Pia
        21. Februar 2016

        Sehr schön 🙂
        In alten Adressbüchern (gibts meist in örtlichen Bibliotheken im Lesesaal) findet man ganz sicher auch Einiges über die „richtige“ Familie Levi…Die sind nach Jahrgängen geordnet und man kann dann auch nachvollziehen, wann der Inhaber wechselte…Ich habe das mal anhand Dresdner jüdischer Kaufleute gemacht und dazu im Archiv auch reizende Werbeanzeigen gefunden, aber auch Hetze in Tageszeitungen…
        Was ich allerdings auch gelernt habe: ein sehr ungutes Gefühl sollte man bei altem Schmuck vom Flohmarkt und beim Juwelier haben…

        • Martina Goernemann
          21. Februar 2016

          Danke für deine Tipps. Ich finde, so langsam werden wir Raumseelen hier ein richtiger Club. Dabei gibt es den Blog erst seit knapp vier Wochen, aber wir sind bereits eine Gemeinschaft von Menschen, die ähnlich denken und offenbar das Herz am richtigen Fleck haben. Komm immer wieder gern vorbei, Pia! Ich habe für die kommenden Wochen viele schöne Themen vorbereitet. Herzliche Grüße von Martina

  • Jeannette
    21. Februar 2016

    Liebe Martina,eine der schönsten Geschichte die ich in letzter Zeit gelesen habe.Es gibt bei mir im Haushalt auch Dinge an dem eine Erinnerung hängt(z.Bsp. eine rote Plastedose,ein kleines Heiligtum)die auch liebevoll dekoriert wird.Manchmal sind es die kleinen Dinge die Erinnerungen hervorheben oder zum Nachdenken anregen.Wünsche dir einen schönen Sonntag und Stressfreie Woche
    Jeannette

    • Martina Goernemann
      21. Februar 2016

      Liebe Jeanette, wie schön, dass du auch zu denen gehörst, die bestimmten Dingen einen Platz im Herzen einräumen. Wenn Du kannst, hilf mit, diejenigen, die ihre Menschlichkeit zu verlieren drohen an die wichtigen Dinge im Leben zu erinnern. Dir auch einen guten Sonntag. Herzlich, Martina

  • Gaby Wittwer
    21. Februar 2016

    Liebe Martina!
    So schön! Da bekam ich beim Lesen echt einen Kloss im Hals.
    Herzliche Grüsse
    Gaby

    • Martina Goernemann
      21. Februar 2016

      …und über jeden, der noch mit echten Gefühlen reagieren kann, freue ich mich! Herzliche Grüße in die Schweiz, liebe Gaby, von Martina

  • Heike Tschänsch
    21. Februar 2016

    Kloss im Hals…
    So ging es mir eben auch liebe Martina.
    Wundervoll!
    Liebe Grüße von Heike

    • Martina Goernemann
      21. Februar 2016

      …und zusammen machen wir die Welt vielleicht ein bisschen wärmer. es braucht nämlich gar nicht viel. Nur ein bisschen Menschlichkeit und ein offenes Herz. Hab einen guten Sonntag, liebe Heike. Herzlich, Martina

  • Silke
    21. Februar 2016

    Liebe Martina,
    das ist wirklich eine sehr berührende Geschichte! Ich habe sie bereits in Deinem Buch gelesen, aber erst jetzt sehe ich, mit wieviel Wärme und Liebe Du sie geschrieben hast. Wirklich wunderschön!!
    Bei uns leben auch sehr viele, alte Dinge mit Geschichte und sie haben meinen höchsten Respekt. Wenn ich mir vorstelle, welche Zeiten sie durchlebt haben, dann haben sie es auch einfach verdient. Ich liebe und halte sie in Ehren, so wie es meine Vorgänger evtl. getan haben und sie erfreuen mein Herz jedesmal, wenn ich darauf blicke bzw. sie benutze. Das sind einfach Herzerwärmer!
    Viele liebe Grüße und Dir einen schönen, entspannten Sonntag!
    Silke
    P.S. Heute werde ich mal Deine Pralinen nachwerkeln :o), bin schon gespannt.

    • Martina Goernemann
      21. Februar 2016

      Liebe Silke, du schreibst „Herzerwärmer“! Das ist ein schönes Wort. Es würde sicher liebevoller zugehen um uns herum wenn Menschen, Tiere und bestimmte Dinge mit mehr Respekt behandelt würden. Versuchen wir es einfach in unserem kleinen Kosmos zu tun und ich werde, wann immer sich die Möglichkeit ergibt, darüber schreiben. Herzlich, Martina

  • Ursula
    22. Februar 2016

    Liebe Martina!

    Ich hatte es dir ja gleich nach Erscheinen des Buches schon geschrieben, wie sehr diese Geschichte mich berührt hat. Es gibt mir ein gutes Gefühl, zu wissen, dass die Tasse der Family Levy bei dir steht und mit Rosen befüllt wird.
    Und du hast so recht: sorgen wir alle einfach in unserem kleinen Kosmos dafür, dass die Welt wärmer wird, dann passiert schon ganz viel Gutes.

    Liebe Grüße aus Innsbruck wo heute schon der Frühling in der Luft liegt!

    Ursula

    • Martina Goernemann
      23. Februar 2016

      Genau so ist es, liebe Ursula. Im Kleinen wirken und Großes anschieben. Ich wünsche dir noch viel mehr Frühling in Innsbruck. Herzlich! Martina

  • jutta
    23. Februar 2016

    Liebe Martina,

    ach wenn die Familie Levy doch erfahren würde wie liebevoll diese Tasse behandelt wird … Es würde ihr gut tun …
    Mir hat diese Geschichte gut getan …
    Alle Menschen haben verdient nett behandelt zu werden …
    Eine Geschichte über die Tasse die mein Herz berührt …
    Sei lieb gedrückt …

    Herzliche Grüße
    Jutta

    • Martina Goernemann
      23. Februar 2016

      Ich pass‘ gut auf die Tasse auf, da kannst du sicher sein. :-)))) Herzlich! Martina

  • Dekolinde
    24. Februar 2016

    Liebe Martina, was für eine wunderschöne Geschichte. Und wie sehr würde sich die “Verschenkst“ dieser Tasse darüber freuen wenn sie wüssten, dass sie auch heute noch das Herz eines Lieben Menschen erfreut. Eines Menschen, der diese alten und wunderbaren Dinge zu schätzen weiß. Ja, diese alten Dinge haben ein Leben, eine Geschichte. Und wenn wir genau hinhören, können wir vielleicht hören, was sie uns zu sagen haben. Ich habe auch einige Dinge und Möbel, die eine Geschichte zu erzählen haben. Das tut mir gut. So gibt es eine wunderschöne alte Tasse mit sehr hübschen Verzierungen und der Aufschrift…Katharina Schönborn 1902…..Und so heisst seit 1985 auch meine Tochter. Ja, es ist wichtig und herzerwärmend, den alten Dingen Platz in unserem Leben zu geben. Ich freue mich auf weiteres von Dir. Liebe Grüße von Linde

    • Martina Goernemann
      24. Februar 2016

      Wie schön, dass du schreibst „das tut mir gut“, liebe Linde. Ich kenne das Gefühl, das du meinst, genau! Deine Katharina-Schönborn-Tasse erinnert mich an eine Geschichte, die ich mit meiner Maria-Schmolln-Tasse erlebt habe. In einem meiner Bücher habe ich darüber erzählt. Du bringst mich auf die Idee, darüber mal im Blog zu berichten. Happy Mittwoch wünscht Martina

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